Die Exit-Frage, die Ihnen kein Anbieter beantwortet
Guido Bülskämper
Gründer expedit.io

Warum Sie vor dem Einstieg über den Ausstieg sprechen sollten.
Stellen Sie sich vor, Sie unterschreiben einen Mietvertrag für neue Büroräume. Sie würden vermutlich fragen: Wie lange ist die Kündigungsfrist? Was passiert mit meinen Einbauten, wenn ich ausziehe? Gibt es versteckte Kosten beim Auszug?
Bei Marketing-Tools stellen die wenigsten diese Fragen. Man evaluiert Features, vergleicht Preise, prüft vielleicht noch die Integrationen. Aber die Exit-Strategie? Die kommt erst zur Sprache, wenn es zu spät ist.
Warum niemand über den Ausstieg redet
Es liegt in der Natur von Verkaufsgesprächen, dass man über den Anfang spricht, nicht über das Ende. Der Anbieter will den Deal abschliessen. Sie wollen Ihr Problem lösen. Beide Seiten sind optimistisch. Da passt die Frage „Was passiert, wenn das hier nicht funktioniert?“ nicht ins Bild.
Hinzu kommt: Die meisten Anbieter haben kein Interesse daran, das Thema anzusprechen. Je schwieriger der Ausstieg, desto wahrscheinlicher bleiben Sie. Das ist kein Vorwurf, sondern Geschäftslogik. Aber es ist eine Logik, die nicht in Ihrem Interesse liegt.
Die wahren Kosten eines Anbieterwechsels
Wenn Sie nach zwei oder drei Jahren den Anbieter wechseln wollen, stehen Sie typischerweise vor drei Problemen.
Das erste Problem ist der Datenverlust. Ihre gesamte Kampagnenhistorie liegt im System des Anbieters. Export-Funktionen existieren oft nur rudimentär oder liefern Daten in Formaten, die niemand weiterverwenden kann. Jahresvergleiche, saisonale Muster, historische Benchmarks – alles muss neu aufgebaut werden.
Das zweite Problem ist der Wissenstransfer. Ihre Dashboards, Ihre Reports, Ihre Automatisierungen – sie sind an das alte System gebunden. Selbst wenn die Logik dokumentiert ist, bedeutet ein Wechsel: alles neu aufsetzen. Das kostet Zeit und Geld.
Das dritte Problem ist die Übergangsphase. Für einige Wochen oder Monate laufen zwei Systeme parallel. Sie zahlen doppelt, Ihr Team arbeitet doppelt, und trotzdem entstehen Datenlücken. Manche Unternehmen scheuen diesen Aufwand so sehr, dass sie bei einem Anbieter bleiben, der längst nicht mehr passt.
Die eine Frage, die alles offenlegt
Es gibt eine Frage, die Sie in jedem Evaluationsgespräch stellen sollten: „Was genau passiert mit meinen Daten, wenn ich in zwei Jahren kündige?“
Achten Sie auf die Antwort. Nicht auf den Inhalt, sondern auf die Art der Antwort.
Wenn Ihr Gegenüber ausweicht, relativiert oder auf Standardprozesse verweist, haben Sie Ihre Antwort. Sätze wie „Wir unterstützen Sie natürlich beim Übergang“ oder „Die Daten können exportiert werden“ klingen hilfreich und sind bewußt schwammig formuliert. Welche Daten? In welchem Format? Wie lange nach Kündigung?
Ein Anbieter, der Datensouveränität ernst nimmt, kann diese Frage konkret beantworten. Er kann Ihnen sagen, wo Ihre Daten liegen, wem sie gehören, und was bei einer Kündigung passiert – ohne Ausflüchte.
Was eine ehrliche Exit-Strategie ausmacht
Eine ehrliche Exit-Strategie bedeutet nicht, dass ein Wechsel kostenlos oder aufwandslos ist. Das wäre unrealistisch. Aber sie bedeutet, dass Sie nicht bei null anfangen müssen.
Der entscheidende Unterschied liegt in der Datenarchitektur. Wenn Ihre Marketing-Daten in Ihrer eigenen Infrastruktur liegen – etwa in einem BigQuery Data-Warehouse, das Ihnen gehört – dann bleiben sie dort, unabhängig davon, was mit dem Dienstleister passiert. Kündigen Sie die Zusammenarbeit, müssen Sie die Datenpipeline neu aufsetzen. Das ist Aufwand, keine Frage. Aber Ihre historischen Daten, Ihre jahrelang gesammelten Insights, Ihre Entscheidungsgrundlage – die bleibt intakt.
Das ist der Unterschied zwischen „Wir müssen die Brücke neu bauen“ und „Wir haben die Brücke verloren und das Fundament ebenso“.
Fünf Fragen für Ihr nächstes Anbietergespräch
Wenn Sie das nächste Mal ein Marketing-Tool oder einen Analytics-Dienstleister evaluieren, stellen Sie präzise Fragen:
Erstens: Wo werden meine Daten physisch gespeichert? Auf Ihren Servern oder in meiner eigenen Infrastruktur?
Zweitens: Wem gehören die Daten rechtlich? Was steht dazu in den AGB?
Drittens: Was passiert mit meinen Daten bei Kündigung? Werden sie gelöscht? Wenn ja, nach welcher Frist?
Viertens: In welchem Format kann ich meine Daten exportieren? Sind es Rohdaten oder nur aggregierte Reports?
Fünftens: Kann ich mit einem anderen Anbieter oder intern weiterarbeiten, ohne meine Datenhistorie zu verlieren?
Die Antworten auf diese Fragen sagen mehr über einen Anbieter aus als jede Feature-Liste.
Transparenz als Vertrauensbeweis
Manche Anbieter werden diese Fragen ungern hören. Andere werden sie souverän beantworten. Der Unterschied zeigt, wer an einer langfristigen Partnerschaft interessiert ist und wer an einer Abhängigkeit.
Ein Anbieter, der offen über Exit-Szenarien spricht, hat verstanden, dass Vertrauen nicht durch Bindung entsteht, sondern durch Freiheit. Wer bleiben kann, aber auch gehen könnte, bleibt aus den richtigen Gründen.
Das gilt übrigens in beide Richtungen. Auch als Dienstleister muss man sich fragen: Würde ich diesen Kunden halten können, wenn er morgen problemlos wechseln könnte? Wenn die Antwort Nein lautet, stimmt etwas mit dem eigenen Angebot nicht.
Die Perspektive wechseln
Vielleicht denken Sie jetzt: Das ist alles graue Theorie. Im Alltag wechselt man Tools nicht so oft. Und wenn doch, findet man schon eine Lösung.
Das stimmt – meistens. Aber „eine Lösung finden“ heisst in der Praxis oft: Mehrkosten akzeptieren, Datenlücken in Kauf nehmen, strategische Entscheidungen auf Basis unvollständiger Informationen treffen. Das sind keine Katastrophen, aber es sind vermeidbare Probleme.
Die Frage ist nicht, ob Sie jemals wechseln werden. Die Frage ist, ob Sie wechseln könnten, wenn Sie wollten. Diese Freiheit hat einen Wert – auch wenn Sie sie nie nutzen.
Ein Gedanke zum Schluss
Sprechen Sie über den Ausstieg, bevor Sie einsteigen. Nicht weil Sie pessimistisch sind, sondern weil Sie realistisch sind. Geschäftsbeziehungen ändern sich. Anforderungen entwickeln sich. Was heute passt, passt in drei Jahren vielleicht nicht mehr.
Ein guter Partner macht es Ihnen leicht zu bleiben. Aber er macht es Ihnen auch möglich zu gehen. Das ist kein Widerspruch – das ist der Kern einer ehrlichen Geschäftsbeziehung.
Guido Bülskämper ist Gründer von expedit.io und hilft Schweizer KMU, Marketing-Daten unabhängig von Anbietern zu nutzen.